Mich erreichte diese Tage ein WUNDERschönes Feedback zu einer Videofortbildung… doch darum soll es heute gar nicht gehen. In diesem Feedback erreichte mich eine Frage die ich gerne hier in diesem Blogartikel aufgreifen möchte und ein paar Gedanken und neue Perspektiven dazu teilen möchte.
”Was bei mir hochaktuell ist und in vielen Kitas ein Dauerthema: Die Kinder kommen nicht mehr zur Ruhe, können nicht mehr zuhören (wenn man eine Aufgabe erklärt oder die Geschichte vorliest). Eine ruhige, konzentrierte Atmosphäre zu schaffen, in der die Kinder bei sich ankommen und dann tanzen können. Das ist sehr häufig (auch bei mir als altem Hasen) ein großes Problem. Tanzen bedeutet für die meisten Kinder nur rennen und schreien. Selbst mit klaren Vorgaben/Strukturen.“
Eine Teilnehmerin
Okay es ist vielleicht nicht eine Frage sondern eine Beobachtung, die tatsächlich zu der Frage führen könnte:
Wie kommen Kinder zur Ruhe und können sich besser konzentrieren?
Bevor ich diese Frage beantworten möchte nehme ich Dich ein wenig mit in die Vergangenheit, denn es ist wichtig mit mir am Anfang anzufangen.
Also vor vielen vielen Jahren, also als ich so 20 Jahre alt war… und noch keine grauen Haare hatte, saß ich im Sozialtherapeutischen Seminar. Wir hatten das phänomenale Fach: Heilpädagogische Phänomenologie bei Herrn Feuerstack; er war ein Mensch der regelrecht für sein Fach sprühte… doch mehr als das; er nahm uns Seminaristen mit auf Gedankenreisen und spinnte mit uns ein Netz voller Gedanken und Thesen mit der Heilpädagogik und Anthroposophie zusammen . Seine Vorlesungen waren humorvoll, voller Weisheit und ein Fest für die Seele.
Eines Tages stellte er uns die spannende Frage:
”Wann kamen gewisse ”Behinderungen“ wie zum Beispiel Autismus auf?“
Er setzte uns in eine imaginäre Zeitkapsel und wir reisten ins Zeitalter der Industrialisierung. Damals, als die Welt immer schneller wurde… wo es mehr Maschinen gab, die Automobile aufkamen und die Welt immer mehr in Bewegung geriert… genau in dieser Zeit stellte man fest, dass manche Menschen sich anders verhielten. Wir sprechen heute von Autismus.
Was ist eine Autismus Spektrumsstörung?
Die Autismus Spektrumsstörung ist eine neurologische Entwicklungsbesonderheit, die durch eine einzigartige Art der Wahrnehmung und Informationsverarbeitung gekennzeichnet ist. Menschen mit Autismus-Spektrum erleben die Welt oft intensiver, was sie manchmal dazu veranlasst, sich in ihre eigene innere Welt zurückzuziehen. Dieser Rückzug kann eine Möglichkeit sein, Reizüberflutung zu vermeiden und eine vertraute, sichere Umgebung zu schaffen. Gleichzeitig eröffnet diese besondere Art der Wahrnehmung auch Stärken, wie zum Beispiel eine hohe Detailgenauigkeit, analytisches Denken und außergewöhnliche Mustererkennung. Obwohl soziale Interaktionen und Kommunikation für sie oft herausfordernd sein können, bringen Menschen mit Autismus-Spektrum einzigartige Perspektiven und Fähigkeiten in ihre Umgebung ein, die unsere Welt berREICHern.
Du siehst wenn wir den Zeitgeist der Industrialisierung betrachten, dann hat das Universum uns Menschen auf die Erde geschickt oder geschenkt, die uns bewusst machen dass es auch eine innere Welt gibt… jenseits von höher, schneller, weiter.
Doch was hat das mit heute zu tun?
Für unsere Generation, also heute im Jahre 2024 sind Maschinen, Automobile, Telefon, Fernsehen, Internet… gar nicht mehr wegzudenken! Wir leben in einer Welt in der manche Supermärkte 24/7 geöffnet sind und alles ständig und stetig zugänglich sein soll… und so haben wir, wenn wir die Frage von Herrn Feuerstark auf die heutige Zeit übertragen, also so ca. 100 Jahre später ein neues Phänomen; deswegen hieß sein Fach wahrscheinlich auch Heilpädagogische Phänomenologie.
Wenn wir uns die Gesellschaft anschauen, in der Kinder aufwachsen, stellen wir fest, dass sie oft den Stress und die Unruhe ihrer Umgebung widerspiegeln. Erwachsene stehen ständig unter Druck – Termine, To-do-Listen und die Anforderungen des Alltags lassen oft wenig Raum für Ruhe und Entspannung – oder zumindest nehmen sich viele Menschen nicht diesen Raum dafür. Kinder spüren und fühlen diese Unruhe und nehmen diese Energien in ihrem eigenen Verhalten auf. Ihr hohes Energieniveau, das oft als störend empfunden wird, ist in Wirklichkeit ein Spiegelbild der Energien, der Reizüberflutung – der Gesellschaft, das sie umgibt.
Die 1980er Jahre und AD(H)S…
Seit den 1980er Jahren hören wir immer mehr von Kindern, die mit AD(H)S auf die Welt kommen. Doch nicht jedes Kind, das unruhig ist oder sich schlecht konzentrieren kann, hat automatisch AD(H)S. Ich hatte das große Geschenk, zwei Jahre lang in einem Internat für seelenpflegebedürftige Kinder zu arbeiten. Dadurch habe ich erfahren, wie komplex und vielschichtig diese Diagnose wirklich sein kann. Sie wird nicht leichtfertig gestellt, auch wenn sie heutzutage oft vorschnell im Raum steht.
Schauen wir nochmal zurück auf die 1980er Jahre. Es war eine Zeit großer technologischer Entwicklungen: Das Internet hielt Einzug, der Gameboy eroberte die Kinderzimmer, Videokassetten (die Vorläufer von DVDs und Blu-Rays) ermöglichten stundenlanges Filmschauen, und der Walkman schenkte uns Musik zum Mitnehmen – mega! Ich kann mich selbst noch daran erinnern, wie mein erster kirschroter Sony Walkman in der Tasche mir schöne Erfahrungen schenkte. All diese Erfindungen haben die Welt enorm bereichert – und uns gleichzeitig enorm abgelenkt. Kinder waren plötzlich mehr Reizen ausgesetzt: Computerspiele, rasant schnelle Trickfilme… Da blieb wenig Raum für Ruhe, und der Körper wurde weniger beachtet, um es in Fußballworten zu sagen: Er geriet schnell ins Abseits.
Das System, in dem wir leben, verlangt schon von Kindern, dass sie stillsitzen, zuhören und funktionieren – Erwartungen, die oft gar nicht kindgerecht sind. Kein Wunder, dass viele Kinder diesem Druck nicht gerecht werden können! Sie brauchen Bewegung, Kreativität und vor allem Raum, um ihre natürliche Energie freizusetzen.
Allzu oft wird jedoch erwartet, dass sich die Kinder den Strukturen anpassen, die eigentlich für Erwachsene gemacht sind. Statt ihnen Raum für Bewegung und Ausdruck zu geben, fordern wir Ruhe und Konzentration – dabei schreien die Körper und Seele nach dem Gegenteil. Dieses Ungleichgewicht führt dann zu Unruhe, die dann schnell als ”Problem“ diagnostiziert wird – sei es ADHS oder anderes “auffälliges Verhalten“.
Es ist ein systemisches Problem!
Wir dürfen den Kindern Raum geben, ihre Energie auf gesunde Weise auszuleben. Tanz, Bewegung, kreatives Spiel – all das hilft ihnen, diese innere Unruhe in etwas Positives zu verwandeln. Tanz ist dabei eine wunderbare Möglichkeit, den Körper, die Seele und den Geist in Einklang zu bringen.
Räume für Bewegung, Ausdruck und des sich Spürens schaffen
Es ist so wichtig, dass wir Erwachsenen uns bewusst werden, wie unser eigener Stress auf die Kinder wirkt. Sobald wir zur Ruhe kommen, erleben die Kinder wie es geht. Sobald wir ihnen die Freiheit geben, sich in ihrer Bewegung auszudrücken, können sie lernen, ihre eigene Energie zu kanalisieren um sich vor allen Dingen besser zu spüren, denn wer sich gut spürt weiß was ihm gut tut!
So nun Butter bei die Fische…
wie kannst Du auch als alter Hase in Deinem Tanzunterricht mehr Ruhe und Konzentration schaffen?
In meiner Zeit als Heilerziehungspflegerin habe ich gelernt, dass jedes Kind unterschiedliche Wege findet, um zur Ruhe zu kommen, manche Kinder
- brauchen klare Strukturen und Rituale
- andere profitieren von sanften Berührungen, wie zum Beispiel Massagen oder anderen taktilen oder kinästhetischen Erfahrungen
- finden einen Zugang über Achtsamkeitsübungen
- lieben es ihre Atmung zu spüren um ganz bei sich anzukommen
Wenn es bei mir zu wild im Unterricht wird und die Konzentration der Kinder schwindet, kann ich sie selten noch einfordern… ich mache dann sehr sehr oft eine kleine Teamarbeit mit einer Massage – in der Regel sind die Kinder danach sehr erfrischt, sie sind wieder bei sich, in ihrem Körper angekommen und dann klappt das mit der Konzentration auch besser.
Um es in den Worten von Peggy Hackney zu beschreiben:
”Verausgabung gefolgt von Erholung, ist ein aktiver natürlicher Rhythmus,
der dem Körper hilft sich zu regenerieren und die körperliche Vitalität beizubehalten.“
Meine Perspektive dazu ist, dass genau diese ”Problemkinder” ein Geschenk sind; denn diese vermeintlichen Herausforderungen sind Indikatoren dafür, was nicht so gut läuft und was wir von diesen Kindern lernen können.
Gerne möchte ich an dieser Stelle noch ein sehr schönes Buch empfehlen. Es ist von Thich Nhat Hanh und heißt:
Viel Freude beim Schmökern
Alles Liebe Dir
Deine Stefi
PS:
Im November findet die Fortbildung ‘Magisches Kinderyoga’ statt, in der wir gemeinsam Momente der Stille, der Konzentration und des Sich-Spürens entdecken. Wenn Du Lust hast, mit mir auf eine Erfahrungsreise in die Welt des Kinderyoga zu gehen und wertvolle Inhalte für Deinen Unterricht mitzunehmen, schau gerne mal rein.
PPS:
Manche Kinder können sich aber eben auch manchmal nicht konzentrieren, weil noch persistierende frühkindliche Reflexe aktiv sind, dies ist jedoch ein ganz anderes Thema – mehr dazu findest Du in diesem Blogartikel
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