Ein Leben für den Tanz & die Menschlichkeit
– eine Hommage an John Cranko

Es ist Samstag – meine Mama und ihr Freund holen mich an der John Cranko Schule in Stuttgart ab. Die Ledersitze des Mercedes sind gemütlich und dieses Autotelefon schaut mich an. Faszinierendes Ding denke ich. Im Radio spielt Tanita Tikaram: Twist in my sobriety. Ich mag die Stimme, sie ist so weich, wie Samt. Ich schaue aus dem Fenster und freue mich dass wir zur Schloss Solitude fahren… wir fahren entlang einer schönen Baumallee und das Licht strömt durch das grün der Bäume – es glitzert.

Auf einmal halten wir. Wir sind noch nicht beim Schloss angekommen. “Komm, wir steigen aus”, sagt der Freund von meiner Mama. Wir sind an einem klitzekleinen Friedhof angekommen. “Schau”, sagt der Freund von meiner Mama “da ist John Crankos Grab”.

Ich halte Inne – es ist schon irgendwie seltsam hier zu stehen, an diesem kleinen Grab, wo doch die Schule, die seinen Namen trägt so riesengroß ist. Er wirkt hier alles so klein und bescheiden… es muss wohl ein ganz besonderer Mann gewesen sein, der so viel in der Welt hinterlassen hat – vor allem in Stuttgart und für die ganze Tanzwelt.

 

 

Der neueste Film Cranko endet an diesem kleinen Friedhof. Marcia Haydée legt Blumen auf das Grab, sie ist anmutig wie eh und je, nur ein wenig älter geworden. Ich tauche ein in ein Meer der Erinnerungen während der Film läuft… wie ich bei den Proben die sie geleitet hat, in meinem weißen Trikot unter dem Klavier saß und gespannt beobachtete was wohl jetzt passiert. Hier war der Tanz und die Kunst zu Hause – die Liebe zum Detail war spürbar.

Der neue Film über John Cranko ist eine Hommage eines Ausnahmekünstlers, eines ganz besonderen Menschen, der Stuttgart und der ganzen Welt des Ballett sehr viel geschenkt hat.

Doch wer war dieser John Cranko?

John Cranko wurde 1927 in Rustenburg, Südafrika, geboren. Als kleiner Junge liebte er es, Geschichten durch Tanz zu erzählen. Seine Mutter hielt ihn oft für ein wenig seltsam, während sein Vater in ihm eine besondere Gabe erkannte: die Liebe zum Tanz und die Feinsinnigkeit, die viele große Künstler umgibt. John wuchs in einem Land auf, das zu dieser Zeit wenig menschlich und oft hart war, doch in ihm schlummerte schon früh eine besondere Feinfühligkeit, die ihn später in die große Welt des Balletts führen sollte, Menschlichkeit und Verbindung wurde ein wesentlicher Teil seiner Arbeit.

Es zog ihn nach London, wo er an der renommierten Sadler’s Wells Ballet School studierte. In London begann seine künstlerische Reise, die ihn nicht nur als Tänzer, sondern vor allem als Choreograph weltberühmt machen sollte. Er war ein Visionär – jemand, der den Tanz nutzte, um Geschichten zu erzählen um Menschen tief im Herzen zu berühren.

 

Mit jedem Schritt und jeder Geste erzählte Cranko eine Geschichte.

 

Das war etwas völlig Neues! Früher tanzten Tänzer ”nur“ Schritte, doch Cranko hauchte den Figuren in seinen Balletten Emotionen ein. Er forderte eine intensive Rollenarbeit, bei der jede Bewegung, jede Geste voller Bedeutung war. Anders als in den traditionellen Handlungsballetten, in denen oft pantomimische Gesten verwendet wurden, führte Cranko Alltagsgesten in seine Choreographien ein – er bewegte sich weg von der Pantomime hin zur Menschlichkeit seiner Figuren. Diese Philosophie des Tanzes – dass es nicht bloße Pantomime ist, sondern eine tiefe, emotionale Erzählung – hat mich stark geprägt. Heute sage ich oft, dass Tanz keine Pantomime ist. Wahrscheinlich habe ich genau das an der Cranko Schule gelernt, auch wenn mir das damals vielleicht gar nicht so bewusst war.

 

”Diese Schritte sind nicht einfach Choreographie, das ist eine Konversation!
Wenn die Tänzer nicht verstehen, was sie tanzen, dann versteht es das Publikum auch nicht.“

Zitat aus dem Buch: Tanzvisionär*

 

Als John Cranko 1960 in Stuttgart ankam, ahnte er nicht, dass dieser Moment sein Leben komplett verändern würde. Er wurde ursprünglich nur als Gastchoreograf engagiert, und nun sollte Stuttgart zu der Heimat werden, die er in London nie gefunden hatte. Dort war er aufgrund seiner Homosexualität ausgegrenzt worden. Die konservative Gesellschaft ließ ihm kaum Raum, sich frei zu entfalten, und diese schmerzlichen Erfahrungen hinterließen Spuren.

 

 

Doch Stuttgart war anders. In dieser beschaulichen Stadt, im Ländle, die in den 1960er Jahren selbst noch von gesellschaftlichen Normen geprägt war – wo Homosexualität offiziell noch verboten war – stieß Crankos unkonventioneller Lebensstil erstaunlicherweise auf Akzeptanz. Hier konnte er aufblühen, sowohl als Künstler als auch als Mensch.

 

Diese Freiheit gab ihm die Möglichkeit, sich künstlerisch und persönlich zu entfalten. Schnell wurde er nicht nur zum gefeierten Ballettdirektor, sondern auch zum Herz der Tanzszene. Und genau diese Mischung aus befreiender Akzeptanz und seinen eigenen licht- und schattenvollen Erfahrungen beeinflusste seine Arbeit entscheidend.

Er nannte seine Tänzerinnen und Tänzer liebevoll ”seine Kinder“. Das ist kein Zufall – in seinen Choreographien ging es immer um Menschlichkeit, um die Tiefen und Höhen des Lebens. Cranko wusste, wie es sich anfühlt, ausgeschlossen zu sein, und genau das spiegelte sich in seinen Balletten wider. Seine Stücke lebten von der Emotion, von dem tiefen menschlichen erLEBEN – ob Freude, Schmerz oder Verlust. Alles fand seinen Platz auf der Bühne.

 

Vielleicht waren es gerade diese persönlichen Höhen und Tiefen, die Cranko so einzigartig machten. Seine Werke waren mehr als nur perfekte Schritte – sie waren durchdrungen von echter Empathie und Emotion. Es war, als ob er den Tänzern Leben einhauchte, weil er selbst so viel vom Leben gespürt hatte.

 

Genau das war sein Geschenk an die Tanzwelt – und an uns alle.

 

John Cranko erschuf in Stuttgart nicht nur ein Ballettensemble, sondern etwas, das oft als ”Stuttgarter Ballettwunder“ bezeichnet wird. Mit seiner visionären Herangehensweise formte er das Ensemble zu einem der besten der Welt. Sein einzigARTiger Stil – eine Mischung aus technischer Perfektion und emotionaler Tiefe – begeisterte das Publikum. Er war nicht nur Choreograph, sondern auch ein Lehrer und Mentor, der seine Tänzerinnen und Tänzer wie ein Team zusammenführte. In einer Zeit, in der viele Solisten im Mittelpunkt standen, brachte Cranko das Ensemble-Gefühl zurück auf die Bühne. Es ging ihm nicht um den Einzelnen, sondern darum, dass jeder Tänzer Teil einer größeren Geschichte war, die erzählt werden musste.

 

 

1965 ging er mit dem Stuttgarter Ballett nach New York und feierte dort einen großen Triumph an der Metropolitan Opera. Die Kritiker waren begeistert von seiner Fähigkeit, komplexe Geschichten durch Tanz zu erzählen und gleichzeitig eine unbeschreibliche Emotionalität zu vermitteln. Die New York Times beschrieb ihn als einen der bedeutendsten Choreographen seiner Zeit. Er brachte frischen Wind in die oft starren Strukturen der Ballettwelt und schuf Werke, die bis heute das Publikum tief berühren.

 

 

Doch Cranko war nicht nur ein Meister des Tanzes, sondern auch ein leidenschaftlicher Leser und Musikliebhaber. Shakespeare spielte eine zentrale Rolle in seinem Leben und in seiner Kunst. Er fand in den Stücken des großen Dramatikers eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration. Die menschlichen Konflikte, Emotionen und Komplexitäten, die Shakespeare in seinen Werken offenbarte, waren auch in Crankos Choreographien allgegenwärtig. Eines seiner berühmtesten Werke, Romeo und Julia, ist ein Paradebeispiel dafür, wie er die Dramatik und Tiefe von Shakespeares Texten in bewegende Tanzszenen verwandelte.

Cranko war obsessiv, wenn es um Musik ging. Er verbrachte Stunden damit, Schallplatten zu hören, immer wieder den gleichen Takt – er wollte jede Nuance fühlen um sie in Tanz zu übersetzen. Es war ihm wichtig, dass die Musik nicht nur den Tanz begleitete, sondern ihn durchdrang und ihn formte.

 

 

Sein tiefes Gespür für Menschen, Musik und Literatur formten ihn zu einem der bedeutendsten Choreographen des 20. Jahrhunderts. Jedes seiner Werke war eine Auseinandersetzung mit den großen Themen des Lebens – Liebe, Verlust, Freude und Schmerz. Doch hinter jedem Schritt, jeder Geste, steckte immer auch ein Stück von Crankos eigener Geschichte. Er verstand es, seine Tänzer in dieser persönlichen Dimension einzubetten und ihnen die Freiheit zu geben, sich in ihren Rollen voll zu entfalten. Genau das machte seine Choreographien lebendig und zutiefst menschlich.

Doch so groß wie sein Erfolg war, so plötzlich kam das Ende: 1973 starb Cranko auf dem Rückflug von einer Tournee. Es war ein Schock für die ganze Ballettwelt. Doch sein Vermächtnis lebt weiter – in seinen Choreographien, in der John Cranko Schule, die nach ihm benannt wurde, und vor allem in den Herzen derer, die durch ihn den Tanz lieben gelernt haben – und hierfür schuf er famose Formate, weil er die Menschen liebte. Er lud die Zuschauer  ein ins Stuttgarter Ballett und schaffte einen Raum für Kunstvermittlung, für den Dialog – und so wurden auch Menschen zu großen Fans des Stuttgarter Balletts, die davor noch gar nichts damit am Hut hatten.

 

Der neueste Film Cranko läuft aktuell in den Kinos, wenn Du den Tanz liebst wirst Du eintauchen in eine Welt voller Liebe, Tanz, Kunst, Obsession und großer Menschlichkeit  – ein wahres Fest für ein Tänzerherz.

 

Für mich war der Film eine WUNDERbare Gelegenheit einmal ganz genau hinzusehen, was die Cranko Schule mir jenseits von Tanztechnik mitgegeben hat: Disziplin, Tanz jenseits von Pantomime, Tiefe mit Leichtigkeit und natürlich Menschlichkeit – und nun wünsche ich Dir viel Freude beim ansehen. Er läuft bestimmt auch in Deinem Kino.

 

Deine Stefi

 

PS:

Du möchtest mehr über John Cranko erfahren?

Wenn Du gerne liest kann ich Dir jenseits des wundervollen Films zwei WUNDERschöne Bücher von Herzen empfehlen.

  • Das Buch Seelen Tanz von von Thomas Anders ist ein atemberaubender Roman über das Leben von John Cranko, ich wurde hineingezogen in die Geschichte dieses Ausnahmekünstlers. Erfahre hier mehr zum Buch*
  • Das Stuttgarter Ballett hat ein große Buch über John Cranko herausgebracht. Es heißt John Cranko: Tanzvisionär. Es ist ein Buch voll mit Erinnerungen, Bildern und ein Gesamtkunstwerk. Erfahre hier mehr zum Buch*

 

PPS:

Wenn Du selbst erLERNEN möchten wie Du jenseits von Pantomime einen zauberhaften Tanzunterricht für Kinder gestalten kannst, dann schau Dir gerne meine Tanzpädagogik Ausbildung für Kinder & Kindertanz – ONE of a KIND DanceDidactics an. Dort erLEBEN wir in 8 Modulen die Tiefe des Tanzes und tauchen in alle Inhalte praktisch und theoretisch ein um einen WUNDERbaren Tanzunterricht für Kinder zu gestalten.

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Titelbild des Blogartikels: Cover des Buchs: Tanzvisionär* – Herausgeber: Stuttgarter Ballett

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